Lesebuch Soziale Ausgrenzung II

Ich lernte Sabine vor dem Parlament kennen. Bei meinem frühsommerlichen "Stand In" - eine Stunde stehen gegen Kinderarmut - war der ORF anwesend und sie sprach, als Alleinerziehende, die von Armut betroffen ist, klare Worte in die Kamera. Sie war der Typ Frau, von dem man auf den ersten Blick keine Armut vermuten würde: glänzend blonde Haare, warme Augen, ein weißes Sommerkleid, gepflegte Füße, feste Stimme und Händedruck, Lachfältchen. Doch das täuschte.

Bereits zum zweiten Mal in Folge waren sie und ihre Kinder Opfer des Unterhaltsherabsetzungsantrages geworden. Der Kindesvater hatte den festgelegten Unterhaltsvorschuss per Antrag herabsetzen lassen. Wie in Österreich üblich, erfolgte die Herabsetzung prompt. Sabine wartete bereits seit einem halben Jahr auf einen neuen Beschluss und erhielt €50 pro Kind. Laut Regelbedarfssätzen würde ihren Kindern pro Nase €313 zustehen. Ein paar Jahre davor musste sie ein Jahr und sieben Monate warten. Sabine fühlte sich retraumatisiert. Wozu gibt es die Regelbedarfssätze überhaupt?
von Maria Stern 4. Juni 2020